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PABLO PICASSO: ÜBERRASCHENDE ERKENNTNISSE

Erstmals wurde mit Pablo Picassos Femme (Époque des «Demoiselles d'Avignon») von 1907 ein Hauptwerk der Sammlung Beyeler ausserhalb des Museums wissenschaftlich untersucht und bearbeitet. Dafür konnte das renommierte Getty Center in Los Angeles gewonnen werden. Der Forschungsprozess förderte immer wieder neue, überraschende Erkenntnisse über das Lieblingsbild des Sammlerehepaars Beyeler zutage.

KUNSTHISTORISCHER KONTEXT

Nach seiner lyrischen «rosa Periode» hatte sich Picasso – beeinflusst von Paul Cézanne, Henri Rousseau sowie von der afrikanischen Kunst – einem neuartigen und radikalen Konzept verschrieben, das unter dem Begriff des Kubismus in die Kunstgeschichte eingehen sollte. Es gipfelte 1907 in seinem legendären Gemälde Les Demoiselles d’Avignon, das sich heute im Museum of Modern Art in New York befindet.

Das Gemälde Femme aus der Sammlung Beyeler greift ein verwandtes Motiv auf: Wir sehen darin eine weibliche Figur, die sich mit erhobenen Armen darbietet. Besonders auffallend im Bild ist der Aspekt des vermeintlich Unvollendeten; nur oben in der Mitte des Bildes verbinden sich die Linien und Flächen zur Figurendarstellung. Somit macht Picasso auch den bildlichen Entstehungsprozess anschaulich.

Portrait Picasso

PABLO PICASSO: BIOGRAFIE

Der spanische Maler, Grafiker und Bildhauer absolviert sein Kunststudium in La Coruña, Barcelona und Madrid. Ab 1900 reist er immer wieder nach Paris, wo er sich 1904 endgültig niederlässt. Nach Blauer und Rosa Periode malt er 1907 mit den Desmoiselles d’Avignon das erste Hauptwerk des Kubismus. 1912 verwendet er erstmals die Collage-Technik und schafft Plastiken. Ab 1917 entwirft er Kostüme und Dekorationen für Serge Diaghilews Ballets Russes.

Anfang der 1920er-Jahre entstehen Werke in neoklassizistischem Stil. 1925 nimmt er an der ersten Surrealisten-Ausstellung in Paris teil. Aus Schrott und Eisen produziert er seine ersten grossen Plastiken. 1937 entsteht für den spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung das Wandgemälde Guernica, in dem er – ausgehend vom Bombardement der baskischen Stadt Guernica durch deutsche Flugzeuge im gleichen Jahr – mit symbolischen Mitteln die Schrecken des Krieges thematisiert. 1939 findet eine grosse Retrospektive seiner Werke im Museum of Modern Art in New York statt. Während der deutschen Besatzung in Frankreich erhält er Ausstellungsverbot. 1949 siedelt er nach Südfrankreich über, wo er schon seit 1909 regelmässig im Sommer malt. Sein Spätwerk zeichnet sich durch stilistische Vielfalt und Auseinandersetzung mit den alten Meistern aus, Mitte der 1960er-Jahre dominieren furios gemalte weibliche Akte. 1970 wird das Museu Picasso in Barcelona eröffnet, 1985 das Musée Picasso in Paris.

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Ausgangslage

Im Restaurierungsprojekt wurden wichtige Fragen zur Entstehungsgeschichte, zum Arbeitsprozess und zur Maltechnik des Gemäldes gestellt und in Verbindung gesetzt zum berühmten Gemälde Les Demoiselles d’Avignon. Eine offene Frage war zum Beispiel, warum Picasso am oberen Bildrand des Gemäldes Farbproben wie auf einer «Palette» aufgestrichen hatte. Grosse Bedeutung wurde auch der Analyse des Gesamtzustandes und Zustandsänderungen beigemessen. Den Restaurator:innen war im Vergleich mit einem alten Farbdiapositiv (Abbildung 1) aus dem Archiv des Museums aufgefallen, dass sich Bildbereiche farblich verändert hatten. Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Basis für zukünftige Erhaltungsmassnahmen.

Hilfreiches Quellenmaterial

Abbildung 1: Dieses alte Farbektachrome (Farbdiapositiv) aus dem Archiv Beyeler ist eine der wichtigsten Quellen, um Aussagen zu Farbveränderungen in den gelbfarbigen Bildbereichen zu machen.

Im Rahmen eines Partnerschaftsprogramms für Gemälderestaurator:innen (Conservation Partnership Program) konnte Markus Gross, leitender Restaurator der Fondation Beyeler, das Gemälde während dreier Monate in den Ateliers des Getty Center in Los Angeles untersuchen, gemeinsam mit Douglas MacLennan, wissenschaftlicher Assistent am Getty Museum und Getty Conservation Institute.

Material und Technik

Mit Hilfe der Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) wurden alle verwendeten Farbpigmente analysiert. Es zeigte sich eine klassische Farbpalette von Tubenölfarben analog zur Schaffensperiode von Picasso: Bleiweiss, Kobaltblau, Zinnober, Schweinfurter Grün, Knochenschwarz, Eisenoxide und zwei Cadmiumfarben. Zwei weitere Farbpigmente wurden ausschliesslich an der «Farbpalette» am oberen Bildrand festgestellt. Das bestärkt die Vermutung, dass die Farbaufstriche nicht unbedingt mit der Gemäldeentstehung gleichgesetzt werden können und erst später von Picasso aufgestrichen wurden. Ein weiteres Indiz für eine spätere Applikation ist die fehlende «Palette» auf der Atelieraufnahme von 1908. 

Um Rückschlüsse zum Malprozess zu erhalten, wurde – gekoppelt mit einer speziellen Softwareapplikation – die Methode des Multispektralimaging im Infrarotbereich genutzt. Eine Technik, die die Gruppierung und Charakterisierung der verwendeten Farben im Gemälde möglich macht. Da ausschliesslich ein blaues Kobaltpigment festgestellt wurde, war es zum Beispiel möglich, die von Picasso vermalte blaue Tubenfarbe auch in den ausgemischten Bildbereichen zu visualisieren. 

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Untersuchung von Farbproben

Bereits der Vergleich des Gemäldes mit einem alten Farbdiapositiv aus dem Fotoarchiv des Museums deutete darauf hin, dass die zitronengelben Farbbereiche, die die Figur an der linken und rechten Seite einfassen, deutlich verblasst sind. 

Zusätzliche Untersuchungen (Malschichtquerschliffe, Rasterelektronenmikroskop [RMX-EDX], Infrarotspektroskopie [µFTIR]) an kleinen ausgewählten Farbproben lieferten völlig unerwartete Ergebnisse: Es handelt sich um eine Cadmiumsulfidfarbe, wie sie auch bei zeitgleichen Werken von Matisse und van Gogh charakterisiert waren. Der Abbaumechanismus, eine physische Zersetzung der obersten, 10-15 µm dünnen Farbschicht, die mit Verbräunung einhergeht, wird hauptsächlich durch Reaktionen mit Licht und Feuchtigkeit verursacht. Der komplexe Degradationsmechanismus konnte jedoch trotz aufwändigster Untersuchungsbemühungen nicht ganz aufgeklärt werden.  

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Entfernen des Firnis

Abbildung 2: Markus Gross am Entfernen des Firnisüberzuges an Femme (Époque des «Demoiselles d'Avignon») im Restaurierungsatelier der Fondation Beyeler.

 

Zustand und Restaurierung

Das Gemälde war in seiner Gesamtstruktur in einem guten Zustand. Als ästhetisch sehr unbefriedigend wurde ein neuzeitlich aufgesprühter Naturharzfirnis empfunden, der im figürlichen Bereich unregelmässige Flecken aufwies. Der Überzug hatte die originale, eher matte Farbbalance durch Kontrastverstärkungen und Farbverschiebungen stark verändert. Aus der Literatur und von Vergleichswerken weiss man, dass Picasso in dieser Periode keinen Firnis mehr verwendet hatte. 

Vieles sprach für eine Firnisabnahme – auch die Hoffnung, dass dadurch die Degradation der zitronenfarbigen Malschicht verringert werden würde, da der Firnis die Oxidation katalysiert.
Nach umfangreichen Tests wurde ein sanftes Lösemittel gefunden, um den Firnis zu entfernen (Abbildung 2). Dank eines speziellen Absauggeräts (Mikroaspirator) konnte die Einwirkzeit des Lösemittels auf ein Minimum reduziert werden. Die Ergebnisse haben alle Erwartungen übertroffen: Die Malerei befindet sich in einem fantastischen Zustand.
 

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Präsentationen

Das Gemälde wurde in einer viel beachteten Sammlungspräsentation am Getty Museum in Los Angeles von Dezember 2014 bis März 2015 in einer der Hauptgalerien ausgestellt. Nach Abschluss des Restaurierungsprojektes war Femme (Époque des «Demoiselles d'Avignon») in einer Sonderpräsentation in der Fondation Beyeler mit neun Gemälden von Pablo Picasso aus der Sammlung der Anthax Collection Marx mit anderen Sammlungswerken gezeigt worden.

 


 

Weitere Projekte

«LE LION, AYANT FAIM, SE JETTE SUR L’ANTILOPE» - Henri ROUSSEAU

Henri Rousseau zählt zu den eigenwilligsten Künstlern des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Das Restaurierungsprojekt sollte Rückschlüsse zu alten Übermalungen ermöglichen, die auch Besucher:innen ins Auge fielen und von denen unklar war, ob sie nachträglich angebracht wurden.

ZUM PROJEKT

Übersicht - Restaurierung

In der Fondation Beyeler arbeitet seit 2001 ein engagiertes Team im Bereich Restaurierung daran, wichtige Kunstwerke der Sammlung langfristig zu bewahren, damit sie auch für künftige Generationen zugänglich bleiben.

Zur Übersicht

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Fernand Léger begegnet uns als wichtige künstlerische Position im Schaffen seiner Epoche. Innerhalb des von der Fondation BNP Paribas Suisse unterstützten Restaurierungsprojekts wurde das Werk umfassend untersucht und restauriert.

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