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Piet Mondrian, Composition with Double Line and Blue

Zur Zeit der Entstehung von Composition with Double Line and Blue lebte und arbeitete Mondrian in seinem Atelier in der Rue Départ in Paris. Dort war er Mitglied der progressiven Künstlergruppen «cercle et carré» (1929) und «abstraction création» (1932).

In einem seiner Briefe des Jahres 1934 notierte Piet Mondrian, dass er schwer erkrankt sei und es ihm zeitweise nicht möglich sei, zu arbeiten. Der Briefverkehr lässt zudem darauf schliessen, dass er bereits 1934 mit der Arbeit an Composition with Double Line and Blue begonnen hatte. In der ersten Jahreshälfte 1935 holte ihn die Krankheit wieder ein, sodass er für einige Zeit nicht in der Lage war, zu malen. Die Untersuchungen unserer Restauratoren haben gezeigt, dass der Künstler über einen längeren Zeitraum an dem Werk gearbeitet hat.

 

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Mondrian – Zeichner der Linien

«Ein grosser Fehler ist der Glaube, dass die Neoplastik  rechteckige, wie Pflastersteine nebeneinander gesetzte Flächen baut. Die rechteckigen Flächen sind vielmehr als das Ergebnis einer Vielzahl gerader, einander rechtwinklig entgegenwirkender Linien zu sehen.»

Piet Mondrian, «L’art réaliste et l’art superréaliste», in: Cercle et Carré, 2, April 1930, o. S. [S. 2]

 

 

Das Gemälde Composition with Double Line and Blue gehört wie Composition with Yellow and Blue (1932) zu den «neoplastischen» Werken Mondrians, in denen sich der Künstler auf die rechtwinklige Anlage von schwarzen Linien mit Flächen in Weiß und den Primärfarben Rot, Gelb und Blau konzentrierte. Zwischen 1933 und 1936 malte Mondrian eine Reihe von Bildern, die Composition with Double Line and Blue ähneln und Doppellinien aufweisen. Im Unterschied zu früher datierten Werken wie Tableau I (1921–1925), denen ein gezeichnetes Gitter zugrunde liegt, scheint Mondrian bei Composition with Double Line and Blue intuitiv gearbeitet zu haben. Es lässt sich vermuten, dass Mondrian eine Art «Balance» in seinen Werken zum Ausdruck bringen und so eine gewisse «Harmonie» in seinen Bildern erzeugen wollte. Dabei suchte er den Ausgleich zwischen horizontalen und vertikalen Pinselstrichen sowie den Linien, wobei die vertikalen Linien schmaler als die horizontalen sind. Ab 1931 begann Mondrian mit schmaleren, dafür aber doppelten horizontalen Linien zu experimentieren.

Wie bereits bei früheren Gemälden wie beispielsweise Composition No. IV beschrieben, begann Mondrian seinen Arbeitsprozess mit der Linie, genauer der Zeichnung der Linien, die seine neoplastischen Werke charakterisieren. Diese Linienzeichnungen mussten nicht auf Papier entstehen, sondern konnten direkt mit Kohle oder schwarzer Ölfarbe auf der grundierten Leinwand erarbeitet sein. Hatte Mondrian einmal mit der Malerei der Flächen begonnen, endete der Prozess des Linienzeichnens jedoch nicht. Zwischen einzelnen Malschichten zog er immer wieder Linien, um seine Kompositionen zu präzisieren. Historische Aufnahmen aus dem Künstleratelier und unvollendete Gemälde dokumentieren diesen andauernden künstlerischen Arbeitsprozess.

 

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Da Mondrian nicht einfach über verworfene schwarze Linien malte, sondern diese zuerst verwischte und wegkratzte, ist es bei vollendeten Gemälden wie Composition with Double Line and Blue nur sehr schwer möglich, die feinen Überreste mithilfe verschiedener bildgebender Verfahren sichtbar zu machen.


Aufnahmen des Werkes in verschiedenen bildgebendend Verfahren geben unterschiedliche Informationen: sichtbares Licht, Streiflicht, Durchlicht, UV-Fluoreszenz, IR-Auflicht, IR-Durchlicht, Röntgen

Spuren auf der Bildoberfläche

Auf der Bildoberfläche von Composition with Double Line and Blue konnten mithilfe des Mikroskops punktuell Reste schwarzer Farbe in den Vertiefungen des Pinselauftrags erkannt werden. Mikroanalysen ergaben, dass es sich dabei um dasselbe Schwarz wie bei den Linien handelt. Mondrian war somit bis zum Schluss mit der Komposition der Linien beschäftigt.

 

Mit hartem Streiflicht von oben sind leichte vertikale Verdichtungen auf der Oberfläche zu erkennen, die weitere angedachte Linienkonstrukte vermuten lassen. An einer Stelle, mitten in einer weissen Fläche, erstreckt sich ein horizontaler Wulst, wie er auch an den Übergängen der Flächen zu den Linien beobachtet werden kann. Dies deutet ebenfalls darauf hin, dass an dieser Stelle während des Malprozesses der Ansatz einer Linie wieder verworfen wurde. So lässt sich, diese Beobachtungen zusammengefasst, ein Gitterbild der verworfenen Linien ausmachen, die einen Eindruck vom Kompositionsfindungsprozess Mondrians vermitteln.

 

 

 

 

 

 

 

 

Verändert, verwischt, verschoben

In der Röntgenaufnahme, welche Bildinformationen tief unter der Oberfläche zeigt, ist deutlich zu sehen, dass rechts von der vertikalen Linie eine weitere Linie hinzugefügt oder dass Letztere zuerst dort platziert, dann aber nach links versetzt wurde. Weitere mögliche Linien sind nur als weniger dichte Schattierungen erkennbar, weil durch die vielen weissen Farbschichten und nach dem Verwischen der Linien zu wenig schwarze Farbe übrig geblieben ist, um die Linien deutlich zu erkennen. Was auf der Röntgenaufnahme jedoch zu sehen ist, sind die «Schatten» um die heutigen schwarzen Linien. In diesen Bereichen wurden sie in ihrer Breite angepasst oder leicht verschoben – nach oben, unten, rechts oder links. Dort sind heute weniger Farbschichten vorhanden, weshalb die Röntgenaufnahme an diesen Stellen dunkel erscheint.

 

Mit der Durchlicht-Infrarotreflektografie detektiert man ebenfalls unter der Oberfläche und macht Unterzeichnungen sichtbar. Durch dieses Verfahren offenbart sich noch eine weitere Linienanpassung im Zusammenhang mit der blauen Fläche unten rechts. Das blaue Rechteck hat Mondrian in der Breite noch etwas verkleinert.

Beim Versuch, die vielen möglichen Linien mit den verschiedenen bildgebenden Verfahren zusammenzufassen, ergibt sich ein gitterförmiges Konstrukt mit unterschiedlichen rechteckigen Flächen. Was für heutige Betrachtende wie eine relativ einfache Komposition neun weisser und einer blauen Fläche wirkt, ist eigentlich Resultat einer Konstruktion aus vielen eingetragenen und verworfenen Linien. Mithilfe dieser komplexen Arbeitsweise ist es Mondrian gelungen, eine für ihn «ausbalancierte» Komposition zu erzielen.

 

 

 

 

Augenmass oder doch mit dem Massstab?

In der Literatur wird vielfach angenommen, Mondrian habe «Harmonie» oder «Balance» in seinen Gemälden erzeugen wollen. Während er in Tableau I noch von einem Raster als Basis für seine Komposition ausging, war er bei seinem neoplastischen Werk Composition with Double Line and Blue 1935 etwas freier, geübter und intuitiver.

Vermessungen der Komposition haben ergeben, dass die Linien in einem perfekten Winkel aufeinanderliegen. Alle drei horizontalen Linien messen die gleiche Breite. Dies lässt vermuten, dass Mondrian selbst als geübter Künstler im Verlauf des Malprozesses Messungen vorgenommen hat. Es erklärt auch, weshalb er, wie in der Röntgenaufnahme ersichtlich, die Breiten der horizontalen Linien minimal angepasst hat.

Obwohl das Gemälde quadratisch wirkt, zeigen die Masse, das es sich genau genommen um ein hochformatiges Rechteck handelt. Damit kontrastiert die blaue Farbfläche, die – kaum erkennbar – ein Querformat ist. Mondrian glich intuitiv durch die Höhe des Werks die ausgeprägten horizontalen Linien und Flächen des Gemäldes aus und fand so eine für ihn perfekte Bildkomposition.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mögliche Linien zusammengefasst
grün: Streiflicht
blau: Infrarotreflektografie
orange: Röntgen

 

Vermessung der Linien und Flächen

Das Faszinosum von Mondrians Arbeitsweise

Wie aus den Untersuchungen zu Tableau I und Composition with Yellow and Blue hervorgegangen ist, malte Mondrian auch Composition with Double Line and Blue in vielen Farbschichten. Dadurch entstehen viele Überlagerungen, und es ist schwierig, eindeutige Schlüsse zu ziehen, wie Mondrian die einzelnen Arbeitsschritte ausführte. Hat er nun Hilfsmittel für die Linien gebraucht oder nicht?

Um ein besseres Gespür für den Künstler und seinen Malprozess zu bekommen sowie Hypothesen zur Arbeitsweise zu verbildlichen, wurden in der Restaurierung sogenannte Mockups oder Dummies erstellt.

Im Falle der Mondrian-Mockups wurden zunächst die bisherigen Informationen zur Maltechnik ausgewertet, alle Hinweise auf verwendete Malmittel zusammengetragen und zudem die Atelierfotos von Mondrian nach Hinweisen und speziellen Hilfsmitteln untersucht.

Weiterhin wurden verschiedene Hilfsmittel ausprobiert: vom klassischen Holzlineal über Papierstreifen bis hin zu Klebestreifen, wie sie Mondrian später in den USA verwendete. Mit unterschiedlichen Mischungen schwarzer Farbe wurden Linien mit verschiedensten Pinseln und Hilfsmitteln gezogen.

Nach einer ersten Zwischenbilanz wurden komplexere Mockups erstellt, Linien und Flächen auf grundierte oder ungrundierte, lose oder aufgespannte Leinwände gemalt. Im Verlauf des Malprozesses wurden die Linienkompositionen verschoben oder einzelne Linien entfernt. Der ganze Entstehungsprozess wurde schriftlich und bildlich dokumentiert, um im anschliessenden Vergleich der Mockups mit den originalen Gemälden deren Entstehungsprozess nachzuvollziehen. Diese Herangehensweise war bei der Spurensuche von Composition with Double Line and Blue sehr aufschlussreich.

 

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Schleifen und Verwischen

In der Literatur wird beschrieben, dass Mondrian bei Veränderungen seiner Bildideen Teile abkratzte oder mit Schleifpapier bearbeitete. Er selbst nannte diesen Prozess «technische Arbeit». Wird eine Fläche mit Schleifpapier bearbeitet, bleiben unregelmässige Rückstände und Schleifspuren zurück, die mit Streiflicht auch noch zu sehen sind, nachdem weitere Schichten darüber gemalt wurden. Wird Malschicht nach dem Kratzen zusätzlich mit einem Lösemittel entfernt, können Reste der Farbe an die unregelmässig abgetragenen Ränder geschwemmt werden. Die Verwendung von Lösemitteln zur Korrektur konnte besonders bei unvollendeten Gemälden beobachtet werden.

 

Mit Mockups oder Dummies sind Demonstrationsmodelle oder Simulationen gemeint. Um sie zu erstellen, werden alle vorhandenen Informationen zur Malweise eines Künstlers zusammengetragen. Anhand dieser Informationen und den Beobachtungen am Gemälde erfolgt eine möglichst genaue Rekonstruktion. Die Vorgehensweise wird genau dokumentiert, um anschliessend visuell zu beurteilen, welche Malweise am ehesten dem Original entspricht. Mockups werden auch gerne benutzt, um versuchsweise Restaurierungsmethoden auszuprobieren, bevor eine Massnahme an einem Original ausgeführt wird.

Übergänge der Flächen zu den Linien

An den Übergängen der Flächen zu den schwarzen Linien gibt es bei der Composition with Double Line and Blue eine deutliche Trennung, die sich durch eine Art Wulst am Rand der Flächen abzeichnet. Ein solcher Wulst kann sich bilden, indem ein Hilfsmittel wie etwa ein Lineal als Anschlag verwendet wird. Allerdings besteht bei der Verwendung eines auf der Oberfläche aufliegenden Hilfsmittels die Gefahr, dass die Farbe unter den Anschlag zieht und die Kante verwischt. Ein anderes Hilfsmittel könnte auch der Malstock sein, an dem der Pinsel entlanggezogen wird, wobei sich durch die Pinselhaltung ebenfalls ein Wulst bilden kann.

Ein sanft geschwungener Wulst kann aber auch ohne das Hilfsmittel eines Lineals oder Ähnlichem gemalt werden, wenn die Farbe mit dem Pinsel zum Rand geschoben wird. Die Ränder der Flächen bei Composition with Double Line and Blue sind – das ergibt die Auswertung der Mockups – so entstanden. Unter mikroskopischer Vergrösserung ist zu sehen, wie Mondrian den Pinsel mehrfach ansetzte und so einen klaren Rand bildete.

Ob Mondrian allerdings für das Malen der schwarzen Linien stets ein Hilfsmittel verwendete, konnte bisher auch mithilfe der Mockups noch nicht eindeutig bestimmt werden.

Auf den ersten Blick scheinen die Flächen von den Linien klar getrennt zu sein. Somit hätte es zwischen dem Auftragen der einzelnen Schichten längere Trocknungszeiten gegeben. Bei genauerem Betrachten ist jedoch zu sehen, dass es stellenweise leichte Vermischungen der Linien und Flächen gibt, die auf eine zügige Arbeitsweise hindeuten. Vermischungen von Ölfarbe im nassen Zustand können noch vertrieben werden und sind somit kein Hinderungsgrund, um Übergänge in noch feuchter Farbe sauber auszuführen. Womöglich stand Mondrian nach längerer Krankheit im Zeitraum der Entstehung von Composition with Double Line and Blue unter Zeitdruck. So sieht man auch Wischspuren und Fingerabdrücke oder Reste schwarzer Farbe, die auf den ersten Blick nicht auffallen, unter dem Mikroskop jedoch sichtbar werden.

Die Vergleiche von Mockups mit originalen Oberflächen sind für die Restauratoren ein wichtiges Vorgehen, um zu verstehen, was sie sehen. Doch auch damit können nicht alle Rätsel gelöst werden.

 

Entdecken Sie weitere Werke

Composition with Yellow And Blue

Zwischen 1929 und 1932 schuf Mondrian eine Reihe von Bildern, die Composition With Yellow and Blue ähneln, mit grossen gelben Rechtecken und einem kleinen blauen Feld, um die Leuchtkraft des Gelbs zu verstärken. 

Zur Übersicht

Verschaffen Sie sich einen Überblick über die sieben Mondrian-Werke und das Piet Mondrian Conservation Project.

TABLEAU NO. I

Das Gemälde hat Mondrian dreimal geändert und erachtete es jedes Mal auch als abgeschlossen mit Signatur und Datum.