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Fragile Gipsskulptur

Die Skulptur The King Playing with the Queen (1944) zählt zu Max Ernsts bedeutendsten bildhauerischen Erfindungen und stellt einen Höhepunkt in der Skulpturensammlung der Fondation Beyeler dar. Die Untersuchungen durch das Restaurierungsteam lieferten wichtige Erkenntnisse über den strukturellen Aufbau der Skulptur und über Eingriffe, die im Laufe der Zeit an ihr vorgenommen wurden.  

 

Kunsthistorischer Hintergrund

Die sich in der Sammlung Beyeler befindende kostbare Gipsfassung von The King Playing with the Queen realisierte Max Ernst während seines amerikanischen Exils im produktiven Jahr 1944 und liess später davon mehrere Exemplare in Bronze giessen. Das Werk zeigt eine gehörnte Gestalt, die an einem Schachbrett sitzt und spielt. Die Hauptfigur – der König des Spiels – lässt an den Minotaurus aus der griechischen Mythologie denken, ein Ungeheuer, halb Mensch, halb Stier. Max Ernst hat diese wichtigste Figur des Schachspiels vom Brett genommen und selber in einen Schachspieler verwandelt. Dabei wird die Königin von der rechten Hand des Königs geschützt und zugleich am Voranschreiten gehindert, während er in der anderen eine weitere Spielfigur verbirgt. Der dämonische König spielt mit seinen Untertanen offenbar nach eigenen Regeln – das Spiel spielt sich selbst.

Bereits ab 1934 führte Max Ernst eine Reihe von figürlichen Skulpturen aus, die als surrealistische Werke «mit symbolischer Funktion» auftreten. Maler:innen, Bildhauer:innen und Objektkünstler:innen des Surrealismus zielten darauf ab, Bilder und Gegenstände aus einem Fundus von Mythen und Visionen frei zu schaffen.

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MAX ERNST: BIOGRAFIE

Während seines Studiums u.a. der Psychologie und Kunstgeschichte in Bonn beginnt der deutsch-französischer Maler und Grafiker zu malen und experimentiert mit expressionistischen, kubistischen und futuristischen Gestaltungsweisen. 1912 stellt er mit den Rheinischen Expressionisten erstmals aus. Während eines Fronturlaubs lernt er 1916 die Berliner Dadaisten kennen und gründet drei Jahre später mit Jean Arp eine Dada-Gruppe in Köln. 1922 siedelt er nach Paris über, wo er sich den Surrealisten anschliesst. Die von diesen propagierte «écriture automatique» setzt er in Collagen, Frottagen, Grattagen und Plastiken um, für die ihm Fundstücke als Grundlage dienen. Seine visionären Kosmogonien gehen auf die Tradition Grünewalds und Boschs zurück.

Ausgangslage

Seit der Eröffnung der Fondation Beyeler 1997 wurde die Skulptur innerhalb des Hauses nur mit grösster Vorsicht bewegt und präsentiert. Darüber hinaus wurde gänzlich auf eine Ausleihe des Werks verzichtet. Den Grund dafür stellte in erster Linie das verwendete fragile Fertigungsmaterial Gips dar, das bereits alte Bruch- und Rissstellen aufweist. 

Neben der Frage nach der Fragilität des Werkes, sollte auch der Herstellungsprozess der Skulptur ergründet werden. Denn das Werk von Max Ernst weist eine strukturelle Besonderheit auf: Alte Atelieraufnahmen zeigen, dass er seine Skulpturen aus Einzelteilen zusammensetzte. Zudem weist die Oberfläche der Skulptur eine augenfällige, inhomogene farbige Erscheinung auf. Verschiedene historische Farbschichten überdecken das Weiss des Gipses. 

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Struktureller Aufbau des Gipses

Hochaufgelöste Röntgenaufnahmen konnten aufschlussreiche Erkenntnisse über den strukturellen Aufbau des Gipses liefern. Das Innere der Skulptur besteht aus einer Armierung mit verschieden starken Drähten. Weiter verwendete Ernst feine Metallgitter, um flächige Bereiche zu verstärken. Der Aufbau der Gipsskulptur erfolgte durch ein Aneinanderfügen von Einzelelementen. Für diese legte Ernst Formen an, goss sie aus, armierte sie und setzte sie schliesslich zusammen. 

Eingriffe durch die Giesserei

Die Röntgenuntersuchung lieferte zudem konkrete Hinweise über ein mehrfaches Abgiessen der Gipsskulptur in Bronze. So findet man zum Beispiel Gewindestangen, Nägel und Schrauben im Inneren der Skulptur, die nicht vom Künstler selbst verwendet wurden (Abbildung 1). Die vergrösserten Röntgendetails zeigen, dass die originale Armierung partiell zerschnitten wurde.

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Röntgen 

Abbildung 1: Die Detailaufnahme des Halses im Röntgenbild zeigt den strukturellen Aufbau der Skulptur. Deutliche Armierungen aus verschiedensten Materialien sind im Inneren des Gipses zu erkennen.

zum Werk

Die Untersuchung sowie der Vergleich mit aufgefundenem Archivmaterial machte einen umfassenden Eingriff der Giesserei an der Skulptur nachvollziehbar. Die Giesserei musste die Skulptur für den komplexen Abformprozess in Einzelelemente zerlegen, um diese anschliessend formgetreu wieder zusammenzusetzen – ein typisches Vorgehen bei einem Abgussverfahren.  Bei den weissen Bereichen der Skulptur ohne Fassung (Hals, Schulter, Handgelenke usw.) handelt es sich um Gipsergänzungen der Giesserei nach dem Abformprozess. Dabei wurde die originale Fläche der Bereiche, die durch das Zerlegen verloren gingen, von der Giesserei ebenfalls in Gips rekonstruiert. 

Blaue Malschicht 

Abbildung 2: Ein Querschliff der Malschicht in Vergrösserung zeigt, dass die originale Fassung aus zwei Schichten blauer Farbe besteht. Die Farben wurden kurz nach Entstehung der Skulptur aufgetragen und ähneln den Pigmenten, die Max Ernst auch für seine Gemälde verwendete.

Analyse der Farbschicht

Durch die Analyse der Farbschicht konnte herausgefunden werden, dass die Skulptur eine zweischichtige blaue Fassung besitzt. Die blaue Farbschicht ist original und wurde bereits kurz nach der Entstehung der Skulptur vom Künstler selbst aufgetragen (Abbildung 2). Bei den nachgewiesenen Pigmenten und Bindemitteln handelt es sich um typische Materialien, die Max Ernst auch für Werke auf Leinwand verwendete. 

Die originäre blaue Farbigkeit ist für Betrachter:innen in ihrer heutigen Form jedoch von blossem Auge kaum sichtbar. Diverse Schichten, die vom Abgussprozess und späteren Eingriffen an der Skulptur herrühren, liegen über der blauen Fassung. Die Erkenntnisse wurden anhand einer frühen Modefotografie aus dem Jahre 1945 bestätigt, die die Gipsskulptur mit einer homogenen farbigen Fassung bereits kurz nach ihrer Entstehung zeigt (Abbildung 3). Die Vielzahl an Schichtfragmenten zeigt auf, welche Geschichte die Skulptur erfahren hat. Sie sind Teil einer historisch gewordenen Oberfläche. Die Wiederherstellung eines authentischen Zustandes ist aus heutiger technischer und ethischer Sicht kaum möglich.

Die Untersuchungen haben schliesslich bestätigt, dass die Gipsskulptur fragil ist. Die empfindlichen Bereiche (Schnittstellen durch die Giesserei, Bearbeitungen usw.) stellen weiterhin ein Risiko für die Handhabung und Ausleihe dar. 

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Historische Abbildungen 

Abbildung 3: Diese Modefotografie von 1945 zeigt im Hintergrund die Skulptur im originalen Zustand: eine homogene Fassung ohne die heutigen Rekonstruktionen an Hals, Schultern, Ellenbogen und Händen.

 


 

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