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Alfredo Häberli, Designer und Architekt

Balthus Discuss – Design, Raum und Farbe im Spätwerk von Balthus

«Als ich von der Fondation Beyeler die Anfrage erhielt, für die Ausstellung über Balthus eine Werkbetrachtung beizusteuern oder sogar für eine Abendgestaltung eine Führung zu geben, sagte ich zu. Spontan – und als Designer nicht wirklich wissend, wer Balthus tatsächlich ist.»
Alfredo Häberli, Designer und Architekt

«Seitdem das Museum im Jahre 1997 eröffnete, bin ich ein regelmässiger Besucher. Nicht nur weil ich Renzo Pianos Architektur sehr schätze, sondern weil ich im Museum beeindruckende Ausstellungen gesehen und daher wunderbare Erfahrungen gemacht habe. Darum musste ich nicht lange mit einer Zusage zögern. Es waren aber auch die Bilder, die ich von Balthus flüchtig kannte: Mich haben die Farben und Texturen, die Kompositionen und die «eingefrorenen Situationen», das Bühnenbildhafte schon immer inspiriert.

Im Verlauf meines Design-Studiums an der Höheren Schule für Gestaltung Zürich wurde «Farbe» zu einem wichtigen Gestaltungsthema. Eine der schönsten und wichtigsten Erfahrungen zu jener Zeit erlebte ich in der Kunstgeschichte, als wir Studenten ein zweites Mal die genau gleichen Bilder präsentiert bekamen, dann das Augenmerk aber «nur» auf die Farbe und ihren Einsatz sowie ihre Funktion richten durften. Diese Lektion war wie eine Offenbarung. Weitere Themen die mich später beschäftigten, waren Texturen und Strukturen sowie Muster und Oberflächen, sei dies nun bei Möbel- oder Stoffentwürfen oder bei der Innenarchitektur.

Als ich den Katalog dieser Ausstellung gesehen habe und die wunderbaren Textbeiträge las, stellte ich fest, wie viele der darin angesprochenen Themen mit meiner Arbeit aus den letzten zwei Dutzend Jahre Gemeinsamkeiten haben. So ist es zum Beispiel wichtig, eine eigene Vision zu haben und nicht einer Strömung zu folgen, sowie eine bewusste Haltung innerhalb des Zeitgeschehens zu wahren.

Balthus äusserte sich um ein Vielfaches schärfer gegenüber Tendenzen und Modeströmungen in der Kunst, als ich es jemals tun werde. Vielleicht bin ich schon zu schweizerisch geworden – und zu ruhig. Trotzdem ist es mir aber ein Anliegen, Produkte und Projekte zu kreieren, die nicht mit der Zeit gehen und länger bestehen werden. Als weitere Parallele zu Balthus kommt es meiner Absicht entgegen, wenn sich auch meine Werke nicht sofort einordnen lassen. Ganz klar spürbar wird beim Betrachten der Gemälde von Balthus die Langsamkeit, das «Entschleunigende» und das Geduldsame. Begriffe, die sich in meinem Arbeitstag wiederfinden und heute von grosser Bedeutung sind.

Es ist bei Balthus sehr interessant und inspirierend, wie er bewusst damit spielt, die Menschen und Figuren in seinen Bildern als Statisten erscheinen zu lassen – und wie es ihm gelingt. Seine Bildsprache hat etwas von einer Collage; aus der einen Welt herausgeschnitten, um wieder in eine andere Welt hinein gesetzt zu werden. Fremd. Verfremdet. Irritierend. Die Vorgänge bei der Wahrnehmung der Bilder sind für mich schwierig einzuordnen. Sowohl in der Chronologie der kunstgeschichtlichen Entwicklung, aber auch betreffend den eigentlichen Gedanken von Balthus. Landschaften sehen aus wie Teppiche, Haltungen wirken wie eingefroren, die Körper haben Verrenkungen und Blicke schweifen an Offensichtlichem vorbei. Diese kleine «Tricks» machen aus jedem einzelnem Werk eine hochgeladene Komposition und bleiben dadurch auch bei mehrfacher Betrachtung spannend.

Zwischen dem Werk eines Balthus und meiner Arbeit als Designer gibt es einen wesentlichen Unterschied: Wenn ein Maler die Idee für einen Bildaufbau hat, eine formale Vorstellung für sein Werk entwickelt und die Proportionen festlegt, dann entspricht diese Stufe bei meiner Arbeit der Skizze. Diese formuliert auch Idee, Material und Proportion, ist aber Ausgangslage für einen weiteren Prozess, der oft genug technisch bedinge Einschränkungen mit sich bringt. Diese Einengung seitens der Technik oder des Materials hat mehr oder weniger den ähnlichen Einfluss, wie die Wahl des Malers bezüglich der Leinwandgrösse oder der Farbe. Wichtig bei diesem Vorgehen ist, dass sich die Kohärenz des Schöpfers beziehungsweise seine Haltung in seinem Œvre spiegelt. Was den Farbauftrag bei Balthus ist, ist bei meiner Arbeit das Material oder die Verwendung einer bestimmten industriellen Fertigungstechnik. Was bei den Gemälden die Komposition ist, ist bei meinen Produkten die Typologie des Objekts.

In der Ausstellung haben mir die farbig gemalten Wände gefallen; perfekt sind die Werke mit ihrer eigen Farb- und Motivwahl dazu geordnet. Beeindruckend und der wahre Grund für einen Besuch dieser Ausstellung ist es, die «echten» Farben zu sehen. Ein Druck – oder heutzutage das Smartphone-Foto – kann nie den Farbauftrag und den Pinselstrich eines Gemäldes adäquat wiedergeben. Ebenso erwähnenswert sind die unterschiedlichen Bildformate, die wiederum in einem Buch nur begrenzt oder verzehrt abgebildet werden können. Schön inspirierend sind die Farben in den jeweiligen Bildern; wunderbare Stofffaltungen und -strukturen habe ich gesehen, was mich konkret für meine Arbeit als Designer inspiriert. Das geschah zum Beispiel auch bei den Ausstellungen über Fischli-Weiss/Alexander Calder, Mark Rothko, Tobias Rehberger oder von Renzo Piano. Es sind Gefühle, Inspirationen und Gedanken, die beim Betrachten einer Ausstellung auslöst werden. Beim Entdecken der Ausstellung von Balthus hier in der Fondation Beyeler machte sich immer wieder der Wunschtraum bemerkbar, meine eigenen Objekte in den Bildern zu sehen: Meine Gläser für Iittala auf einem Tisch, meine Stühle für Alias oder Sessel für Moroso als Grundlage für einen Akt. Gerne würde ich meine vielen Stoffentwürfe für Kvadrat Balthus zur Verfügung stellen können, oder meine Innenarchitektur als Fragmente eines Raumes. Dies würde dann eindeutig Gemeinsamkeiten aufweisen, bleibt aber einen Wunschtraum – und kunstgeschichtlich chronologisch nicht einordnungsbar.»

Alfredo Häberli, Designer, Zürich

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