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Piet Mondrian, Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3)

Piet Mondrian schuf seit den 1910er-Jahren immer wieder sogenannte «Rautenbilder», die für ihn nicht zuletzt deshalb wichtig waren, weil er in ihnen das Problem der «leeren Bildecken» des Kubismus an die Fläche oder konkret an die Wand delegieren konnte.

In Mondrians spätem Bild Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) in der Sammlung der Fondation Beyeler wird dieser «leere» Raum nun gleichsam erobert, in dem man die Vorstellung erzeugt, vertikale und horizontale Linien begegneten sich virtuell ausserhalb des Bildes. Im Sinne der Ästhetik Mondrians ist entscheidend, dass nur die Bildkanten schräg stehen, jedoch nicht die Linien im Bild – eine Möglichkeit, die Mondrian bis zuletzt ablehnte. In der sich daraus ergebenden Raute geht es folglich um eine kontrollierte Einbeziehung der Wand. Zugleich wird das Bild auf eine neue Art als auf der Wand befindliches Objekt fassbar, das einen Ausschnitt aus einer letztlich grenzenlos anmutenden Harmonie zu veranschaulichen mag. Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) von 1938 ist eines von Mondrians berühmten Quadraten, die auf die Spitze gestellt sind. Die rechtwinklig verlaufenden vertikalen und horizontalen Linien, kombiniert mit einem roten Feld, wirken wie der Ausschnitt eines viel grösseren Systems, das sich bis in die Unendlichkeit fortsetzen liesse. Darin wird Mondrians Anspruch deutlich, mit seinen abstrakten Kompositionen die Bereiche des Sichtbaren und des Unsichtbaren zu durchdringen.

 

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Aufnahmen des Werkes in verschiedenen bildgebendend Verfahren geben unterschiedliche Informationen: sichtbares Licht, Streiflicht, UV-Fluoreszenz, IR-Auflicht, IR-Durchlicht, Röntgen

Hinweise zur Kompositionsfindung anhand von Quellenrecherchen

Paris – London – New York 
Mondrian wechselte in seinem Leben mehrmals den Wohnort und arbeitete in über zehn verschiedenen Ateliers. Nachdem er 1919 Holland endgültig verlassen hatte, waren Paris, London und New York die Städte, in denen er lebte und arbeitete. Ihm gefiel das Leben in der Grossstadt und die drei Metropolen gaben ihm wichtige Impulse für seinen Malprozess. Auch das Gemälde Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) begleitete und beschäftigte ihn über längere Zeit in diesen drei Städten. Ersichtlich wurde dies anhand von historischen Quellen wie Briefen, Aussagen von Zeitzeugen und anderen Dokumenten. Diese Informationsquellen sind wichtige Komponenten für jedes Restaurierungsprojekt und können wertvolle Hinweise zum Werk und auch zum Schaffensprozess geben.

 

Paris
Bei einem Besuch in Mondrians Atelier in Paris in der 26 Rue du Départ erinnert sich László Moholy-Nagys Frau Sibil im März 1935, dass ein grosses Stück weisses Papier auf dem Boden lag, auf dem Mondrian und ihr Mann mit Streifen schwarzen und einem kleinen Stück roten Papiers von einer Leiter aus begeistert eine Komposition ausarbeiteten. Obwohl nicht explizit genannt, könnte dies die sogenannte Genesis der Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) sein. Zudem ist dies ein wertvoller Hinweis darauf, wie Mondrian kompositionelle Ideen erarbeitete. Tatsächlich berichten mehrere Zeitzeugen, dass er oft mit Papierstreifen Kompositionsideen ausprobierte, bevor sie gemalt wurden, aber auch, um bereits gemalte Kompositionen weiterzuentwickeln.

Dank eines Briefes des britischen Künstlers Ben Nicholson vom 29. Dezember 1935 an die britische Bildhauerin Barbara Hepworth, nach einem Atelierbesuch bei Mondrian verfasst, wissen wir nicht nur, dass Mondrian zu jenem Zeitpunkt mit dem Malen des Werkes begonnen hatte, sondern auch, dass die Komposition der heutigen bereits sehr ähnelte. Nicholson beschreibt nicht nur, sondern ergänzt eine kleine Skizze mit Hervorhebung des roten Dreiecks (Abbildung). Anfang 1936 sah James Johnson Sweeney, der damalige Direktor des Guggenheim Museums und erster Besitzer des Gemäldes, das Werk ebenfalls und erinnerte sich, dass Kohlelinien sowie ein rotes Stück Papier zu sehen waren. Dies würde darauf hinweisen, dass Mondrian in jenen Tagen dabei war, die Komposition zu verändern. Sein Schaffensprozess war intuitiv und beinhaltete ein stetiges Anpassen der Kompositionen: Auf bereits ausgeführten Gemälden arbeitete er Kompositionen um, indem er zuerst mit Kohlelinien oder Papierstreifen neue Varianten erprobte. Erst danach wurde dann unter Umständen wieder Malschicht entfernt und wurden bestimmte Stellen neu bemalt.

Wir können annehmen, dass Mondrian noch im Sommer 1938 intensiv an Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) arbeitete: Im Juni 1938 schrieb er an Winifred Nicholson, dass er froh sei, dass ihr das «grosse Werk» gefiele, an dem er gerade arbeitete. Am 19. August 1938 antwortete er ihr: «Ich meine, dass ich nun endlich die grosse Raute fertiggestellt habe. Es war schwer.» (Quelle)

 

London
Im September 1938 zog Mondrian nach London; eine Etikette der Londoner Kunstspedition James Bourlet & Sons auf der Rückseite des Keilrahmens beweist, dass die Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) mit nach England umzog. Das Gemälde trägt die Datierung «1938» auf der Vorder- wie auch auf der Rückseite. Da Mondrian im Jahr 1938 sowohl in Paris als auch in London weilte, ist unklar, wo er das Gemälde datierte. Eventuell arbeitete er in Großbritannien weiter, da er im Oktober 1938 wiederum Winifred Nicholson informierte, dass die grossen Gemälde in der britischen Hauptstadt endlich angekommen seien und er diese noch fertigstellen müsse.

 

New York
Mondrian blieb zwei Jahre in London; der drohende Krieg in Europa überzeugte ihn aber, nach New York zu ziehen. Die Metropole an der amerikanischen Ostküste war lange einer seiner Träume und Mondrian fühlte sich in dieser belebten und modernen Stadt sehr wohl. Neben vielen neuen Bekanntschaften und Bewunderern war es Charmion von Wiegand, die viel Zeit mit dem Künstler in seinem Atelier verbrachte und darüber in ihrem Tagebuch berichtete. So ihr Eintrag im September 1941, in dem sie ein Gemälde beschreibt, bei dem es sich nur um die Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) der Fondation Beyeler handeln kann:

Then back of the door, he pulled out a very large square about
40 × 40 inches [101 × 101 cm] and turned it; there was one
enormous diamond shaped canvas. It too had black bars, very heavy,        
but the effect was different. In particular I say how turning of the square
greatly increases spatial feeling…it is the only diamond shaped one
he has and in large size […] he began to see he could fix the canvas –
there were charcoal marks where he wanted to broaden and
thin them.


(A Sameness Between Us, The Friendship of Charmion von Wiegand and Piet Mondrian, Stuttgart 2020, S. 81)

Ob das Gemälde schlussendlich in New York nochmals bearbeitet wurde oder ob Mondrian die Kohlelinien einfach wieder wegwischte, konnte im Zuge des Forschungsprojektes nicht eindeutig beurteilt werden. Auf jeden Fall war das vollendete Gemälde Anfang 1943 zum ersten Mal auf einem Foto in seinem Atelier 353 East 56th Street in Manhattan zu sehen. Im März wurde das Bild dann auch zum ersten Mal ausgestellt (Curt Valentin Gallery, New York) und ging am letzten Tag dieser Ausstellung direkt in das Apartment von James Johnson Sweeney in Manhattan, der erste und einzige Besitzer des Gemäldes, bevor es von Ernst Beyeler 1986 erworben wurde.

Anhand all dieser Quellen wissen wir also, dass die jetzige Komposition grösstenteils schon sehr früh feststand, dass Mondrian jedoch über mehrere Jahre immer wieder an dem Werk feilte und arbeitete. Aber was, wenn überhaupt, veränderte Mondrian?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Etikette auf der Rückseite des Keilrahmens. James Bourlet & Sons war eine Kunstspedition in London, die das Gemälde vermutlich von London nach New York transportierte.

 

 

 

 

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Abbildung der Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) im Atelier, Anfang 1943 (Quelle: Fritz Glarner)

Weitere Hinweise auf die Entwicklung der Komposition anhand von Strahlenuntersuchungen

Mit sogenannten bildgebenden Verfahren kann die Entwicklung der Komposition direkt am Gemälde weiter im Detail verfolgt werden. Eine Zusammenstellung aller ausgeführten bildgebenden Untersuchungen an Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) ist, wie bei allen Gemälden des Piet Mondrian Conservation Projects, jeweils oben rechts angezeigt.

Die Untersuchung mit Infrarotstrahlungen im Durchlicht veranschaulicht am deutlichsten, wo die grösste Veränderung der Komposition stattfand. Zu erkennen sind mehrere Linien, die unter der weissen Malschicht verdeckt sind. Im unteren Bereich waren die Linien ursprünglich viel tiefer angesetzt; im oberen Bereich gab es eventuell zwei Linien. Bei den Linien an der rechten Bildseite fanden auch auch grössere Verschiebungen statt.

 

Pin-Löcher
Gemälde können auch mit Röntgenstrahlen untersucht werden. Die Interpretation eines Röntgenbildes ist komplex, doch im Allgemeinen bedeuten helle Stellen, dass die Röntgenstrahlen dort nicht durchdringen können, da es sich um besonders dichtes Material wie etwa Metall handelt. Je dunkler eine Stelle im Röntgenbild erscheint, desto durchlässiger ist das Material, wie beispielsweise organische Stoffe.

Die Restauratoren haben die Röntgenabbildung von Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) im Detail studiert. Dabei fielen, kaum sichtbar, an manchen Stellen eine Vielzahl kleiner weisser Punkte auf (Abbildung). Es handelt sich um kleine Löcher, welche im Zuge des Malprozesses mit Bleiweiss (ein traditionelles weisses Pigment, das Mondrian nahezu ausschließlich benutzte) gefüllt wurden und somit wegen der hohen Dichte der Komponente Blei stark weiss erscheinen. Sie ähneln Löchern, wie sie Stecknadeln oder Reißzwecken hinterlassen. Doch woher stammen diese Löcher?

Die Stellen, an denen die Löcher innerhalb der Komposition vermehrt auftreten, geben uns eine Antwort: Sie existieren nur am Rand, an den Enden der schwarzen Linien (Abbildung). Es handelt sich daher vermutlich um Löcher, die entstanden sind, als Mondrian zugeschnittene Stücke Papier auf dem Gemälde befestigte, um mögliche Kompositionsveränderungen auszuprobieren. Diese Arbeitsweise wurde bereits erwähnt und von Besuchern seines Ateliers beobachtet. Schwarze und weisse Papierstreifen konnten so etwa helfen, die Verschiebung der schwarzen Linien zu veranschaulichen, und ein rotes Stück Papier (wie Sweeney es 1936 erwähnte) konnte hilfreich sein, um den Standort des roten Dreiecks zu erproben.

 

«Referenz-Linien»
Im Röntgenbild konnten die Restauratoren ausserdem entdecken, dass zwei der Linien der Komposition von Anfang an festgelegt und während des Schaffensprozesses (der immerhin drei bis acht Jahre dauerte) nicht verändert wurden. Es handelt sich um die inneren vertikalen und horizontalen Linien der unteren linken Ecke. Diese Linien sind die dunkelsten Stellen im Röntgenbild, heisst somit, dass hier wenig Malschicht vorhanden ist, und dass diese zwei Linien schon sehr früh gesetzt und nicht mehr übermalt oder verschoben wurden. Wie genau Mondrian seine Kompositionen arrangierte, ist und bleibt natürlich sein Künstlergeheimnis. In der Literatur wird jedoch angedeutet, dass Mondrian eventuell seine Kompositionen mit sogenannten «Referenz-Linien» begann, sozusagen als fester Ausgangspunkt oder «Anker». Es könnte sich bei diesen zwei Linien durchaus um solche Referenz-Linien handeln. Vergleicht man alle 16 Rautengemälde von Mondrian, so sind diese zwei Linien häufig ein Kompositionsmerkmal und sind somit vermutlich als wichtige Ausgangslage für seine Rautenkompositionen zu interpretieren.

 

«Bewegte Linien»
Im Vergleich zu den zwei «Referenz-Linien» wurden die anderen sechs Linien im Bild mehrmals verschoben: nach oben und unten sowie nach rechts und links. Ein Beispiel dieser Verschiebungen ist anhand eines Details an einer der Linien im unteren Bereich veranschaulicht. Interpretiert man das Röntgenbild dieser Stelle, war die Linie ursprünglich weiter unten angelegt (Schritt 1) und wurde dann immer weiter nach oben bis zur jetzigen Position verlagert sowie schließlich auch bis zur jetzigen Breite erweitert (Schritt 5). Insgesamt fünf Veränderungen, die an dieser Linie hinsichtlich Position und Breite vorgenommen wurden.

 

Derselbe Bereich zeigt im Infrarot-Durchlicht, dass die Verschiebung der Linie während Mondrians Schaffensprozess noch komplexer war. Die Linie wurde nicht nur fünfmal nach oben, sondern auch mindestens dreimal nach unten in die andere Richtung versetzt. Die feinen dunklen Linien im Infrarot-Durchlicht sind nämlich jeweils die feinen Farbwulste, welche entlang des Überganges von einer weissen Linie zu Weiss entstehen.

Für diese Linie unternahm Mondrian also eine Vielzahl von kleinsten Verschiebungen nach oben und nach unten, grösstenteils im Bereich weniger Millimeter. Dies konnte ähnlich auch bei den anderen Linien der Rautenkomposition mit acht Linien und Rot (Picture No. 3) beobachtet werden.

 

In der rechten Darstellung sind alle Untersuchungsergebnisse zur Entwicklung der Komposition schematisch zusammengefasst. Generell wurden die Linien eher nach innen verschoben (Pfeile).

Wie man sieht und wie auch die Quellenrecherchen oben andeuten, veränderte sich die Grundkomposition eigentlich nur wenig. Auch die Vermutung bestätigt sich, dass die zuvor erwähnten Referenz-Linien nahezu unverändert blieben. Es gab jedoch eine Vielzahl an Verschiebungen und Grössenveränderungen der Liniengruppen. Die Verschiebung einer ganzen Linie, wenn auch nur um Millimeter, bedeutet jeweils viel technische Arbeit. Mondrian musste dafür Farbe wegkratzen, die veränderten Stellen wieder genau in Farbe und Struktur anpassen und übermalen. Dass er diese aufwendige Arbeit immer wieder auf sich nahm, bezeugt, wie wichtig auch die kleinsten Verschiebungen in kompositorischer Hinsicht waren und einmal mehr, wie sehr seine Intuition dabei eine Rolle spielte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Tiefenuntersuchung kann verborgene Schichten unter der obersten Farbschicht eines Gemäldes sichtbar machen und eignet sich, um Unterzeichnungen oder Kompositionsänderungen zu offenbaren. Die langwelligen Infrarotstrahlen erzeugen je nach Pigmentzusammensetzung und Schichtdicke entweder Streuung oder Absorption, die in der Infrarotkamera dann aufgenommen werden. Im Gegensatz zu den Infrarot-Auflichtaufnahmen, kann mit Infrarot-Durchlicht die Schichtdicke noch detaillierter durchdrungen und weitere Feinheiten sichtbar gemacht werden.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schematische Abbildung veranschaulicht in Pink, wo sich die Pin-Löcher befinden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Röntgenstrahlen können Materialien in Abhängigkeit von der molekularen Zusammensetzung der Substanzen durchdringen. Je dichter eine Substanz ist, desto weniger durchlässig ist sie für Röntgenstrahlen  und desto heller erscheint diese Stelle auf einem Röntgenbild. Wo die Strahlen hingegen ungehindert durch ein Material dringen können, weist das Röntgenbild eine dunkle Stelle auf. So erscheinen beispielsweise dichte Pigmente wie Bleiweiss hell und solche mit niedrigem Molekulargewicht wie Beinschwarz, erscheinen dunkel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die gelb-markierte Linie wird im Text links näher untersucht.

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Zwischen 1929 und 1932 schuf Mondrian eine Reihe von Bildern, die Composition With Yellow and Blue ähneln, mit grossen gelben Rechtecken und einem kleinen blauen Feld, um die Leuchtkraft des Gelbs zu verstärken. 

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TABLEAU NO. I

Das Gemälde hat Mondrian dreimal geändert und erachtete es jedes Mal auch als abgeschlossen mit Signatur und Datum.