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22. Mai – 21. August 2011

Im Jahr 1964/65 begegnete Richard Serra dem Werk von Constantin Brancusi zum ersten Mal zeichnend. Im Rahmen eines Stipendiums hielt er sich in Paris auf, wo er täglich im rekonstruierten Atelier des Künstlers weilte und sich sukzessive mit den Gesetzmässigkeiten von Brancusis Skulptur auseinandersetzte. Serra war fasziniert von der Art, wie Brancusi seine skulpturalen Volumen auszeichnete, und wie er in völlig reduzierter Linienführung räumliche Dimension zu erfassen vermochte. Damit ist ein biographisches Moment und künstlerisches Schlüsselerlebnis an den Anfang dieser Ausführungen gestellt, das den ersten Zugang vereinfachen soll. Der eigentliche Ansatz ist allerdings viel weiter gefasst. Es erschien uns eine geradezu visuelle Notwendigkeit, dem Schaffen von Brancusi, das auch für den Beginn moderner Skulptur steht, eine bedeutende zeitgenössische Position gegenüberzustellen. Erstaunliche Gemeinsamkeiten, aber auch spannungsvolle Unterschiede treten im anschaulichen Erlebnis dieser Ausstellung unmittelbar in Erscheinung.

Folglich begegnen sich Brancusis und Serras Werke in einem offenen Dialog und sind für sich genommen auch als zwei konzentrierte Retrospektiven zum Schaffen der beiden Künstler zu verstehen. Einer exemplarischen Auswahl von rund 40 Skulpturen Brancusis steht ein ausgesuchtes Ensemble von 10 Plastiken und verschiedenen Arbeiten auf Papier von Serra gegenüber, das in radikaler Konsequenz für die Entwicklung seiner skulpturalen Idee der letzten vierzig Jahre steht, wie sie so in der Schweiz noch nie zu sehen war. Auch von Brancusi ist noch nie eine Retrospektive zu seiner Skulptur in der Schweiz präsentiert worden.

Die Ausstellung ist thematisch in Werkgruppen unterteilt und entzieht sich einer rein chronologischen Anordnung. Es ist ein loses Spiel, das sich durch die Museumsräume erschliesst, mit Momenten, in denen die Skulpturen in direktem Bezug aufeinander treffen, aber auch mit Raumfolgen, die jeweils nur dem einen oder anderen Künstler gewidmet sind, sich aber in ihrem visuellen Erlebnis gegenseitig bedingen. 

Serra äusserte sich kürzlich zu Brancusis Arbeit folgendermassen: „Ich schaute auf sein Werk wie in ein Handbuch künstlerischer Möglichkeiten“ – und als eine Summe von Möglichkeiten soll auch der Dialog dieser Ausstellung verstanden werden.

Saalheft

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Katalog zur Ausstellung «Brancusi & Serra»

Zu der spektakulären Sommerausstellung der grossen Bildhauer Constantin Brancusi und Richard Serra ist ein umfangreicher Katalog erschienen. Der Band widmet sich dem bahnbrechenden Schaffen der beiden Erneuerer der modernen Skulptur im 20.Jahrhundert. Die direkte Gegenüberstellung der Werke führt Gemeinsamkeiten, aber auch spannungsvolle Kontraste vor Augen und macht die universelle Kraft von Skulptur neu erfahrbar.

Herausgegeben von der Fondation Beyeler mit Texten von F.T. Bach, bedeutender Kenner des Werkes von Brancusi, Oliver Wick, dem Kurator dieser Ausstellung, Alfred Pacquement und J.Matisse Monnier. Werkbetrachtungen von unterschiedlichen Autoren und kommentierte Biographien der beiden Künstler machen den Katalog zu einer Fundgrube an Informationen, Anregungen und Ideen. Im Bildteil glänzt die Publikation mit ganzseitigen Abbildungen in der gewohnt brillanten Qualität. Alle Werke der Ausstellung sind in diesem Katalog abgebildet.

Deutsch, 2011, 244 Seiten, ca.182 Abbildungen, davon 80 farbig
Gebundene Ausgabe, 28 x 31,5cm

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Constantin Brancusi (1876 – 1957)

1876  Constantin Brancusi wird am 19. Februar im rumänischen Hobitza geboren.

1889 –  93  Lebt in Craiova, wo er als Kellner arbeitet.

1894  Eintritt in die Kunstgewerbeschule von Craiova.

1898  Abschluss an der Kunstgewerbeschule mit Auszeichnung;  anschliessend Fortsetzung des Studiums in der Bildhauerklasse an der Kunstakademie von Bukarest, das er 1902 mit einem Diplom abschliesst.

1904  Dank eines Stipendiums Aufbruch nach Paris, wo er zunächst als Tellerwäscher arbeitet und als Messdiener in der rumänischen Kirche dient.

1905  Schreibt sich an der Pariser Ecole nationale des beaux-arts in der Bildhauerklasse ein.

1907  Brancusi arbeitet im Atelier von Auguste Rodin, unter dessen Einfluss sein bisheriges Werk steht; er verlässt dieses aber bald wieder, um künstlerisch selbständig zu werden. Er beginnt direkt aus dem Stein heraus zu arbeiten (taille directe), woraus sich auch eine neue, reduktionistische Bildauffassung ergibt.

1909  In diesem oder dem folgenden Jahr entsteht Brancusis erster weiblicher Torso sowie die erste Muse endormie.

1910  Mit Maïastra entsteht Brancusis erste Vogelskulptur.

1913  Teilnahme an der Armory Show in New York. Le premier pas, Brancusis erste Holzskulptur, entsteht.

1914  Erste Einzelausstellung Brancusis in den Little Galleries of the Photo-Secession in New York.

1916  Bezieht ein neues Atelier in der Impasse Ronsin 8 in Paris. In der Modern Gallery in New York findet Brancusis zweite Einzelausstellung statt.

1918  Es entsteht die erste noch erhaltene Colonne sans fin. 

1920  Brancusis Princesse X entfacht im Salon des Indépendants einen Skandal: Das als „obszön-phallisch“ qualifizierte Werk muss vor der Ausstellungseröffnung entfernt werden, wird später jedoch wieder aufgestellt.

1921  Man Ray unterweist Brancusi in der Fotografie.

1926  Erster Amerikaaufenthalt von Ende Januar bis Ende März. In den Wildenstein Galleries in New York findet Brancusis dritte Einzelausstellung statt. Zweiter Aufenthalt in New York von Ende September bis Anfang Dezember. In der dortigen Brummer Gallery wird Brancusis vierte Einzelausstellung organisiert.

1927  Prozess der amerikanischen Zollbehörden gegen Brancusi um den Status eines Oiseau dans l’espace: Ihm wird der Versuch vorgeworfen, als Kunstwerk deklariertes Metall in die USA  geschmuggelt zu haben. Ein Jahr später ergeht das Urteil zugunsten von Brancusi.

1938  Einweihung des monumentalen Ensembles von Târgu Jiu, zu dem die Colonne sans fin, die Porte du baiser und die Table du silence gehören.

1940 – 44  Während des 2. Weltkriegs lebt Brancusi zurückgezogen in Paris.

1952  Brancusi nimmt die französische Staatsbürgerschaft an.

1955  Die erste museale Brancusi-Retrospektive findet auf Initiative von James Johnson Sweeney im Solomon R. Guggenheim Museum in New York statt.

1956  Brancusi verfasst sein Testament, in dem er sein Atelier und dessen Inhalt dem französischen Staat vermacht.

1957  Brancusi stirbt am 16. März in Paris und wird auf dem Cimetière de Montparnasse beigesetzt.

1958  Carola Giedion-Welcker veröffentlicht die erste umfassende Monografie zu Brancusi.

1997  Eröffnung des aktuellen Atelier Brancusi im Neubau von Renzo Piano vor dem Centre Pompidou in Paris.

Richard Serra (*1939)

1939  Richard Serra wird am 2. November in San Francisco geboren.

1957 61  Studium an der University of California in Berkeley und Santa Barbara, das er 1961 mit einem Bachelor of Arts in englischer Literatur abschliesst. Arbeitet in dieser  Zeit in Stahlwerken, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

1961 – 64  Studium an der Yale University in New Haven mit einem Abschluss als Bachelor und Master in bildender Kunst.

1964 – 65  Erhält ein Reisestipendium und verbringt ein Jahr in Paris, wo er an der Académie de la Grande Chaumière arbeitet. Täglich besucht er das rekonstruierte Atelier Brancusi im Palais de Tokyo, wo er Zeichnungen fertigt, die ihm den Zugang zur Skulptur eröffnen.

1966    Erste Einzelausstellung in der Galleria La Salita in Rom, bei der die Habitats mit echten und ausgestopften Tieren gezeigt werden. Beginnt Werke aus Gummi und Neonröhren zu fertigen. 

1968 – 69  Fertigt eine Reihe von Werken aus geschmolzenem und gegossenem Blei; die ersten Lead Props werden ausgestellt. Dreht seine ersten Filme und beginnt mit Corten-Stahl zu arbeiten. Erste Einzelausstellung in den USA im Leo Castelli warehouse in New York.

1970  Beginnt mit Pulitzer Piece: Stepped Elevations, seiner ersten ortsspezifischen Landschaftsskulptur.

1971  Erste schwarze Leinwandbilder entstehen.

1975  Entwurf eines ersten Curved Piece für das Centre Pompidou in Paris, der allerdings abgelehnt wird.

1977  Installation von Terminal auf der Documenta 6 in Kassel, das im Anschluss von der Stadt Bochum als Serras erstes permanentes Werk in einem urbanen Kontext erworben wird.

1978  In der Kunsthalle Tübingen findet Serras erste Retrospektive statt, die anschliessend auch in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden gezeigt wird.

1980  Teilnahme an der Biennale von Venedig. Installation von Open Field Vertical/Horizontal Elevations im Wenkenpark in Riehen/Basel im Rahmen der von Ernst Beyeler mitorganisierten Ausstellung Skulptur im 20. Jahrhundert.

1981  Installation von Tilted Arc auf der Federal Plaza in New York. Heirat mit der Kunsthistorikerin Clara Weyergraf.

1986  Retrospektive im Museum of Modern Art in New York. Installation von Olson in der Leo Castelli Gallery in New York.

1988  Bespielt die Kunsthalle Basel mit einer grossen Zeichnungsinstallation.

1989  Tilted Arc wird von der amerikanischen Regierung zerstört.

1992  Installiert neben zahlreichen anderen Werken in Amerika und Europa auch Intersection auf dem Theaterplatz in Basel. 

2004  Enthüllung der Skulptur Dirk’s Pod auf dem Novartis Campus in Basel.

2005  Das Guggenheim Museum Bilbao enthüllt The Matter of Time, Serras bisher grösstes realisiertes Werk.

2007  Zweite grosse Retrospektive im Museum of Modern Art in New York.

2011  Retrospektive der Arbeiten auf Papier im Metropolitan Museum of Art in New York, im San Francisco Museum of Modern Art und in der Menil Collection in Houston.