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16. Januar – 25. April 2011

Giovanni Segantini (1858-1899) ist als grosser Maler der Berge und des naturnahen Lebens von Bauern mit ihren Tieren bekannt. Er fand mit dem Divisionismus eine moderne künstlerische Ausdrucksform, dank der die Alpen in neuem Licht und frischer Farbigkeit erstrahlen. Sein Werk weckt die Sehnsucht nach dem Erlebnis reiner Natur. Die Ausstellung feiert ihn als Wegbereiter der modernen Malerei, die er parallel zu Monet, van Gogh, Gauguin, Cézanne und Klimt erneuerte. Sie umfasst rund siebzig Ölbilder und Zeichnungen aus allen Schaffensphasen des Künstlers, der in armen Verhältnissen im Tirol geboren, früh seine Eltern verlor und in Mailand ausgebildet wurde. Sie zeichnet seine künstlerische Entwicklung nach, die mit Szenen aus dem Stadtleben begann und sich mit Bildern der norditalienischen Seenlandschaft Brianza fortsetzte, darunter das berühmte „Ave Maria a trasbordo“.

Mit Bice Bugatti und ihren vier gemeinsamen Kindern zog der staatenlose Segantini nach Savognin, wo er sich vertieft mit der Bauernkultur beschäftigte und seine ersten monumentalen Gemälde der Schweizer Bergwelt schuf.

Segantini liess sich schliesslich mit seiner Familie im Engadiner Dorf Maloja nieder und verbrachte die harten Winter im Bergell. Seine riesigen Bildtafeln malte er in der freien Natur und stieg dabei immer höher. Den Gipfel erreichte er mit dem legendären „Alpentriptychon“, das er mit grossformatigen Studien vorbereitete. Die steigernde Überhöhung der Malerei führte Segantini in ein Reich, in dem ihm die Bergwelt als irdisches Paradies erschien. Seine letzten Worte waren „voglio vedere le mie montagne“ (ich möchte meine Berge sehen).

Die Tourismusorganisation Engadin St. Moritz engagiert sich zugunsten der Segantini-Ausstellung.

Saalheft

Darstellung Graubünden. Das Leben der einfachen Leute.

Nach seiner Lehrzeit an der Brera in Mailand zog es den jungen Maler mit seiner Partnerin Bice in die Welt Graubündens, zunächst nach Savognin. Schon in den Brianza-Jahren war das Hauptthema Segantinis das symbiotische Verhältnis von Mensch und Tier und die Bauern bei ihrer täglichen Arbeit (Heuernte, 1889/89; Schafschur, 1886-88; Rückkehr vom Wald, 1890). Der Stall ist Ort der Geborgenheit, der in der einbrechenden Dunkelheit Schutz verspricht, Holz und Stroh garantieren darüber hinaus Wärme. Lediglich in seinem frühen Werk Die Kürbisernte (1884–1886) durchbricht zum ersten und einzigen Mal die Industrialisierung in Gestalt der Eisenbahn die überhöhte Darstellung der ländlichen Idylle. In seinen Gemälden klingt die künstlerische Verwandtschaft zu Malern wie Millet oder Courbet, aber auch Liebermann an.

Divisionismus

Das Gemälde Ave Maria bei der Überfahrt von 1886 zählt zu den berühmtesten Werken Segantinis. Nach einer ersten Fassung aus dem Jahr 1882 markiert es sowohl den Abschluss der Brianza-Jahre, als auch den Beginn seiner von der divisionistischen Technik geprägten Lichtmalerei, die er bis zu seinem Tode immer weiter entwickeln wird. Der Künstler zergliedert die Materie in Licht und Farbe und findet zu einer überirdischen Strahlkraft. Je höher er in die Berge steigt, desto leuchtender werden seine Werke und desto individueller die Handhabung von Farbe, Form und Motiv. Als eines seiner letzten Werke vereint dies sein unvollendet gebliebenes Bild Berglandschaft, 1898/99. Das Mystische der Berge überträgt sich hier direkt in das Werk: Seine feinen Pinselstriche mit reiner Farbe verdichten sich zu einer regelrechten Lichtexplosion und führen ihn in immer höhere Sphären künstlerischer Ausdrucksfähigkeit.

Das Leuchten der Berge

In der Höhe der Berge empfand Giovanni Segantini mehr Licht, mehr Klarheit, mehr Luft. Die Bergwelt war für ihn und seine Malerei ein mystischer Ort, dessen Eindrücklichkeit direkt in seine Werke Eingang fand.
Das landschaftliche Umfeld Segantinis war zuerst die Ebene, dann der Talboden mit seinen Seen, bis er sich dann auf den Hochplateaus einrichtete – jenem Raum noch ungezähmter Natur, den Segantini als universelle Harmonie darstellt. Die Natur bei Segantini ist göttlich, nie tödlich. Erst in der späten, unvollendeten Berglandschaft nähert er sich der Gipfelzone und verliert sich dabei in einer Ahnung von Monochromie und Abstraktion. Der Berg als letzes Refugium – ein Menschheitsmythos seit der Sintflut und der Errettung des Lebens.

Die Reduktion des Motivs auf wenige Bildgegenstände und die Konzentration auf wenige Farbabstufungen in seinen späten Werken bringen ihn an den Punkt, wo die Auflösung der Materie in reine Farbe und Licht, in unsichtbare Energie nicht mehr weit ist.

Katalog zur Ausstellung «Segantini»

Anhand bedeutender Gemälde und Zeichnungen präsentiert die reichhaltige Publikation Leben und Werk des vom Licht begeisterten Divisionisten und Symbolisten Giovanni Segantini (1858–1899). Sein Wunsch, das in der Höhe der Bergwelt erlebte, strahlend klare Licht in seine Werke zu übertragen, führte zu einer enormen malerischen Entwicklung, die in all seinen Schaffensphasen deutlich wird – angefangen mit der Zeit in der Lombardei in Brianza über die Bilder des Savogniner Bauernlebens bis hin zum Höhepunkt seiner Malerei, die durch die hell strahlende Engadiner Berglandschaft geprägt wurde. Wissenschaftliche Beiträge und literarische Essays würdigen Segantinis Bedeutung als Erneuerer der Landschaftsmalerei und Vorbereiter der Moderne und geben ihm als Maler des Lichtes einen neuen Platz in der internationalen Geschichte der Kunst.

176 Seiten, 136 Abbildungen.

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Biographie

GIOVANNI SEGANTINI 1858 - 1899

1858  Am 15. Januar 1858 wird Giovanni Battista Emanuele Maria Segatini als zweites Kind des Ehepaares Agostino Segatini und Margherita de Girardi, im damals zu Österreich gehörenden Arco (Trentino) geboren.

1865  Verstirbt Margherita, die Mutter von Giovanni an den Folgen ihrer langjährigen Krankheit. Sein Vater Agostino bringt ihn darauf nach Mailand, zu seiner Tochter Irene aus erster Ehe.

1866  Verstirbt Agostino Segatini. Aus widersprüchlich überlieferten Gründen veranlasst Irene die Annullierung der österreichischen Staatszugehörigkeit, ohne die italienische für Giovanni Segantini zu beantragen. Von nun an wird Giovanni zeitlebens staatenlos und ohne Papiere sein.

1870 – 1873 Hunger, Einsamkeit und die emotionale Kälte bei seiner Halbschwester Irene veranlassen Segantini dazu, Reissaus zu nehmen. Die Polizei greift ihn vagabundierend auf der Strasse auf und bringt ihn in die Erziehungsanstalt Marchiondi.

1874 – 1878 Giovanni kehrt nach Mailand zurück, um seinen Wunsch zu verwirklichen, Maler zu werden. Er arbeitet für den Dekorationsmaler Luigi Tettamanzi und besucht Abendkurse, bevor er sich ganz für das Studium der Malerei einschreibt.

1879  Von allen nur »Segante« genannt, fügt er seinem Nachnamen schliesslich das »n« hinzu und heisst fortan Segantini. Er lernt den Kritiker und Kunsthändler Vittore Grubicy de Dragon (1851–1920) kennen, der mit seinem Bruder Alberto eine Galerie in Mailand führt. Schnell avanciert Grubicy auch zu seinem Kunsthändler und Berater und wird zeitlebens wichtigster Vermittler seiner Kunst und Geldgeber sein.

1879 Im selben Jahr lernt er auch Luigia (»Bice«) Pierina Bugatti (1862–1938), die Schwester seines Studienfreundes Carlo Bugatti, kennen. Bice wird fortan bis zu Giovannis Tode an seiner Seite sein.

1880  Er zieht mit Bice zunächst nach Pusiano in der Brianza.

1882 – 1886 In den kommenden vier Jahren kommen ihre Kinder Gottardo (1882–1974), Alberto (1883–1904), Mario (1885–1916) und Bianca (1886–1980) zur Welt.

1886  Finanzielle Probleme, aber vor allem auch der landschaftliche Reiz der Savogniner Berge bewegen Segantini und seine Familie 1886, in das schweizerische Graubünden zu ziehen. Hier in dem beschaulichen Ort Savognin verarbeitet er Motive aus dem Dorf- und Alpleben zu grossformatigen Gemälden, die die Bewohner vor allem bei ihren bäuerlichen Tätigkeiten in den Bergen zeigen – zum Beispiel in Vacche aggiogate (Kühe an der Tränke). In Savognin entsteht auch die zweite Fassung von Ave Maria a trasbordo bei der Segantini zum ersten Mal die Technik des Divisionismus anwendet, eine Malweise, die Vittore Grubicy ihm bei einem seiner länger dauernden Besuche erläutert hat.

1889  Für sein Gemälde Vacche aggiogate wird er an der Pariser Weltausstellung mit der Goldmedaille ausgezeichnet. In den folgenden zehn Jahren werden Segantini  für seine Werke diverse weitere Goldmedaillen, Preise und Auszeichnungen verliehen.

1891 Segantinis Werke werden beim ersten geschlossenen Auftritt des italienischen Divisionismus auf der Prima esposizione triennale di belle arti in der Accademia di Brera gezeigt.

1894 In internationalen Kunstkreisen ist Segantinis Bekanntheitsgrad gestiegen. Im Juni wird ihm im Mailänder Castello Sforzesco eine Retrospektive mit 90 Werken gewidmet

1894 Steuerschulden im Kanton, weitere Geldforderungen seitens seiner Gläubiger und sein Status als Sans papier zwingen Segantini und seine Familie, erneut umzuziehen. Das auf zahlreichen Wanderungen bewunderte Maloja im Oberengadin und die es umgebende Bergwelt sollen ihm für die ihm verbleibenden Jahre zum Lebensmittelpunkt werden.

1896 – 1897 Segantini plant ein überdimensionales Engadiner Panorama für die Pariser Weltausstellung, dessen Ausführung jedoch an der Finanzierung scheitert. Anstelle dieses Grossprojekts fertigt Segantini für die Weltausstellung in Paris ein Triptychon der Alpen an und widmet der Ausführung jede Minute seiner Zeit. In Paris wird das Alpentriptychon nicht im Schweizer, sondern im italienischen Pavillon gezeigt.

1899 Am 18. September erkrankt Segantini an einer Bauchfellentzündung infolge eines Blinddarmdurchbruchs auf dem Schafberg. Die Höhe der Hütte (2731 m ü Meer) und die Witterungen machen einen Abstieg ins Tal wie auch eine Operation unmöglich. Giovanni Segantini verstirbt am 28. September 1899 im Beisein von Familie und Freunden.