10. Juni – 23. September 2001
Kunst der Kulturen, der Moderne und Gegenwart im Dialog
Nichts haben die Pioniere der abstrakten Kunst wie Klee oder Mondrian mehr gefürchtet als den Vergleich ihrer revolutionären Errungenschaften mit Ornamenten. Nicht ohne Grund, denn der dienende Bereich der Ornamentik brachte seit Jahrtausenden ungegenständliche Formschöpfungen hervor. Im Verlauf der Entwicklung der Moderne »blüht« die abstrakte Kunst immer wieder »ornamental« aus und die Malerei der Gegenwart ist heute nicht ohne den Begriff des Ornaments zu diskutieren.
Rund hundert Jahre abstrakte Kunst und die Aktualität des Ornamentalen fordern dazu heraus, die Frage nach der Bedeutung des Ornaments für die Grundlegung und Entfaltung der ungegenständlichen Kunst neu zu stellen. Mit dem Projekt »Ornament und Abstraktion« nimmt erstmals die Fondation Beyeler diese Herausforderung an und versucht, dieses Wechselspiel anhand von Gegenüberstellungen autonomer Kunst mit kunsthandwerklichen Objekten verschiedener Kulturen in verständlicher Weise zu präsentieren.
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Werke
Prolog: Orient-Okzident: "Bilderverbote" zwischen Islam und Abstraktion
Was hat ein monochromes Bild des russisch-amerikanischen Künstlers Mark Rothko mit einem reich ornamentierten Fensterladen aus Marokko zu tun? Der Prolog der Ausstellung fasst unter dem Aspekt des »Bilderverbotes« islamisch-abstrakte Ornamentik und ungegenständliche Malerei (Rothko, Marden, Taaffe) zusammen. Während der religiöse Impuls des Bilderverbotes im Islam zum Reichtum des geometrischen und arabesken Ornaments führte, mündete im 20. Jahrhundert der Drang zur Abstraktion in die Leere des alle Gegenstände und Formen negierenden Tafelbildes. Vielleicht können wir den Byzantinismus, von dem Mark Rothkowitz damals ein »Stück« aus seiner russischen Heimat in die Neue Welt mitgenommen hatte, als Brücke zwischen diesem horror vacui des islamischen Orients und dem laus vacui der Moderne verstehen.
Im Anfang war das Ornament: Von der Arabeske zur abstrakten Linie der Moderne
Bevor der Jugendstil um 1900 die Linie als reine, vom Gegenständlichen unabhängige Bewegungsspur entdeckte, hatte das Lineare schon eine grosse, internationale Karriere hinter sich, nämlich als Rankenornament der Arabeske und als Kalligrafie (Abb.). Paul Klee greift in seinen »figurativen Kalligrafien« auf diese Tradition der Verschmelzung von Schrift und Bild zurück (Abb.). In zahlreichen kunsthandwerklichen Objekten und Kunstwerken zeigt das Kapitel, wie die Arabeske am Anfang des 19. Jahrhunderts sich als »blinder Passagier« in die neuartige Konzeption des romantischen Bildes (Runge) einnistet und beginnt, über den Symbolismus (Gauguin) und den Jugendstil (van de Velde, J. Hoffmann) die Strukturgeschichte der abstrakt werdenden Kunst zu beeinflussen. Ist vielleicht die abstrakte Malerei des 20. Jahrhunderts nichts anderes als die Fortsetzung der Ornamentgeschichte?
München: Die Zerlegung der Arabeske und ihre Verpflanzung in die Abstraktion
Ein grosser Glücksfall für diese Ausstellung ist die Zusammenführung von Kandinskys späten Gemälden Etagen (1929) und Autour du cercle (1940) mit dem Udegei Schamanenmantel aus St. Petersburg (Abb.). Bei dem Pionier der ungegenständlichen Kunst werden gerne die wichtigen Inspirationsquellen der russischen und bayrischen Volkskunst und sein reiches Beziehungsgeflecht zu den Attributen des Schamanen-Kultes unterschlagen - ebenso der Jugendstil, der den Schritt zur Abstraktion bei Kandinskys Ankunft in München, 1896, bereits vollzogen hatte (Endell und Obrist). Das Kapitel zeigt, wie die arabeske Linie über den Jugendstil in Kandinskys Bildkonzeption eindringt, dort um 1911/12 eine Revolution auslöst und bis in sein Spätwerk hinein immer wieder auftaucht.
Wien: Die Geburt der Abstraktion aus dem Geiste des Ornaments
Um 1900 entwickelte der Wiener Secessionismus die Technik der »Flächendekoration«, um von der Ebene der Wand aus den Raum zu erobern. Der Beethoven-Fries (1902) von Gustav Klimt wurde zum Ausgangspunkt für den Ausstieg der Malerei aus dem Bild in den Raum (Abb.), der zwanzig Jahre später von der holländischen de Stijl-Gruppe weiter voran getrieben wurde. Die Fondation rekonstruierte für diese Ausstellung die berühmte, begehbare Raumgestaltung von Mondrian für den Salon von Ida Bienert (1926). Monumentale Installationen von Sol LeWitt und Daniel Buren setzen vor Ort dieses Abenteuer der raumgreifenden Malerei fort. Am Ende der Ausstellung taucht der Besucher in eine computeranimierte Videoinstallation des Wiener Künstlers Peter Kogler ein (Abb.). Klimt und Kogler, dekorative Raumkunst und digitaler Cyberspace bilden die sinnhafte Klammer dieser Ausstellung.
Krieg der Zeichen - Frieden im Ornament: Das Ornament als Brücke der Kulturen
Ornamente fremder Kulturen sind ursprünglich meist symbolhaltige Zeichen, die durch Reihung zu sinnfreien Schmuckformen verflachen. Die neuerliche Individualisierung aktiviert die ursprüngliche Sinnhaftigkeit der Ornamentform. Das monumentale Asian Sign von Helmut Federle geht auf diesen komplexen Zusammenhang zwischen Ornament und Symbol ein (Abb.). Es thematisiert u. a. das Verstehen und Nichtverstehen der Kunst ferner Kulturen - ein Phänomen, das mit der Globalisierung immer zentraler wird. Umgekehrt mobilisieren junge Künstler in der Dritten Welt das »eigene, fremd gewordene Ornament« als Mittel im Kampf um eine postkoloniale aesthetical correctness. Die Ausstellung zeigt engagierte Werke solcher Künstler (Kaipel Ka'a) in Kombination mit solchen der europäischen Klassiker wie Matisse und Klee.
Das (digitale) Ornament der Masse
Die iranische Künstlerin Shirin Neshat thematisiert in ihrem Kurzfilm Rapture das Verhältnis der Geschlechter in ihrer fundamentalistischen Heimat (Abb.). Daneben hat eine Gruppe von 25 identischen grinsenden Männern Aufstellung genommen - alles Selbstportraits des chinesischen Künstlers Yue Minjun in der Uniform des westlichen Konsums, in Jeans und weissem T-Shirt (Abb.). Die Auseinandersetzung zwischen Individuum und Kollektiv bringt in fundamentalistischen Gesellschaften eine Wiederbelebung des »Ornaments der Masse«. Der Soziologe Siegfried Kracauer schrieb 1927 unter dem Eindruck des Nationalsozialismus den gleichnamigen Aufsatz, in dem er das massenkulturelle Phänomen einer aufkommenden Unterhaltungsindustrie thematisierte. Die Ausstellung versteht sich als eine Plattform, auf der unter dem Vorzeichen des Ornamentalen nicht nur ästhetische, sondern auch soziologische, ethnologische, medien- und kommunikationstheoretische Fragen angeschnitten werden.