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26. Mai - 8. September 2013

Mit über 160 Gemälden, Collagen, Zeichnungen, Skulpturen und illustrierten Büchern präsentiert die grosse, Max Ernst gewidmete Retrospektive in der Fondation Beyeler anhand zahlreicher Hauptwerke all seine Schaffensphasen, Entdeckungen und Techniken. So erhält der Besucher zum ersten Mal in der Schweiz seit Ernsts Tod 1976 die Gelegenheit, das mannigfaltige Werk dieses Jahrhundertkünstlers in seinem gesamten Reichtum zu erleben.

Max Ernst (1891–1976) gehört zu den vielseitigsten Künstlern der Moderne. Nach seinen Anfängen als revoltierender Dadaist in Köln zog der Künstler 1922 nach Paris, wo er bald zu einem der Pioniere des Surrealismus wurde. Zweimal wurde er während des Zweiten Weltkriegs als feindlicher Ausländer interniert und kam durch den Einsatz des mit ihm befreundeten Dichters Paul Eluard wieder frei. 1941 floh er ins amerikanische Exil, wo er neue Anregungen fand und zugleich für die Generation junger amerikanischer Künstler neue Impulse gab. Ein Jahrzehnt später kehrte er in ein vom Krieg zerstörtes Europa zurück, in dem der einst geschätzte Max Ernst vergessen schien, bevor er als einer der facettenreichsten und faszinierendsten Künstler des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde. Im Jahr 1958 wurde Max Ernst französischer Staatsbürger.

Als fortwährender Erfinder neuartiger Figuren, Formen und Techniken wie die Frottage, Grattage, Dekalkomanie (Abklatschtechnik) und Oszillation hat sich Max Ernst ständig weiterorientiert. Dabei schuf er ein einzigartiges Oeuvre, das sich jeder klaren stilistischen Definition entzieht. Dessen Entwicklung haben das bewegte Leben und die wechselnden Aufenthaltsorte des Künstlers in Europa und Amerika mitgeprägt.

Max Ernsts Kreativität im Umgang mit Bild- und Inspirationsquellen, die Brüche zwischen den zahlreichen Werkphasen und Sujets überraschen den Betrachter. Wie ein Revolutionär des Sehens setzte er Bilder neu zusammen, stellte als Surrealist neue Verbindungen zwischen Bildern und dem Bewusstsein des Betrachters her. Was als Konstante bleibt, ist die Beständigkeit des vermeintlichen Widerspruchs. Wie Max Ernsts Leben, so ist auch sein Werk »nicht harmonisch im Sinne der klassischen Komponisten«, so der Künstler selbst. Ein Meister der Metamorphose, war Ernst Suchender und Entdecker, ein Dr.h.c. der Philosophie, der stets seine Fragen erweiterte und sich dabei auch von Astronomie, Ethnologie, Ornithologie, Mathematik und Psychoanalyse inspirieren und sich von seiner Liebe zu Naturwissenschaften und dem kreativen Zufall leiten liess.

Starke Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, begleiteten seinen Weg als Mann und Künstler: die spätere Dalì-Muse Gala Eluard, Künstlerin Leonora Carrington, Mäzenin und Sammlerin Peggy Guggenheim und Malerin Dorothea Tanning.

Auch Jahrzehnte nach seinem Tod erscheint Max Ernsts Werk, im beständigen Versuch Traditionen zu überwinden, doch gleichzeitig auf sie Bezug zu nehmen, aktueller denn je. Die Ausstellung zeigt ein Schaffen, das durch Erinnerung und Erfahrung Unbewusstes und Verborgenes aus der Vergangenheit mit dem Erlebten des Gegenwärtigen und dem politischen Zeitgeschehen in Kontakt bringt, um daraus fantastisch-realistische Visionen in die Zukunft zu imaginieren.

Saalheft

Köln

Die nahe Pubertät (Die Plejaden), 1921

Für dieses Werk hat Max Ernst einen liegenden weiblichen Akt aus der Vorlage herausgeschnitten, um 90 Grad gedreht und auf den bemalten Untergrund geklebt. Obwohl das Gesicht der Frau fehlt, erahnen wir ihren versonnenen Blick auf einen unterhalb von ihr vorbeifliegenden Stein. Die rechte Hand hat sie zum Kopf geführt, mit dem linken Arm durchdringt sie wie mit einem Schwert einen dunklen Kreis. Die Bildunterschrift integriert der Künstler als gleichberechtigtes Element in das Werk. Wie das Bild eröffnet dieser Text einen unbegrenzten Assoziationsraum. In anspielungsreichen Worten legt Max Ernst die Gleichsetzung der Frau mit dem Sternbild der Plejaden nahe. In der griechischen Mythologie sind die Plejaden nach jungfräulichen Nymphen benannt. Diese wurden vom Göttervater Zeus in Sterne verwandelt, um sie vor dem Jäger Orion zu retten. Jungfräulichkeit und Laszivität, Himmlisches und Irdisches, Schweben und Fallen, Anmut und Zerstörung – eine Vielzahl von Gegensätzen hält Max Ernst in diesem Werk in der Balance.

Frankreich

Der Garten Frankreichs, 1962

1953 ist Max Ernst aus den USA nach Paris zurückgekehrt. Das Gemälde Der Garten Frankreichs schuf er im Jahr 1962 in Huismes (Touraine), in der Gegend zwischen den Flüssen Indre und Loire, wo er ein Haus für sich und seine Frau, die Künstlerin Dorothea Tanning, gekauft hatte. Die neue Wahlheimat zeigt Max Ernst aus der Vogelperspektive, gewissermassen als Landkarte. Er hat sogar Namen und Fliessrichtung der beiden nahen Gewässer vermerkt, die in Wirklichkeit jedoch nicht gegenläufig fliessen. Mit der geradezu sachlichen, reduzierten Landschaftsdarstellung verschmilzt ein nackter Frauenkörper – die Kopie eines Akts aus dem 19. Jahrhundert, die Max Ernst übermalt hat. Es könnte sich um eine Venus, aber auch um Kleopatra oder Eva handeln, denn wir sehen eine Schlange, die sich um das obere Knie des Akts windet. Fruchtbarkeit und Verfall sind in diesem Paradies auf alle Fälle eng miteinander verbunden.

Katalog zur Ausstellung

Max Ernst (1891–1976) gehört zu den vielseitigsten Künstlern der Moderne. Nach seinen Anfängen als Dadaist in Köln wurde er bald zu einem der Pioniere des Surrealismus in Paris. Als fortwährender Entdecker neuer Figuren, Formen und Techniken hat sich Max Ernst auch später ständig weiterorientiert. Dabei hat er ein einzigartiges Werk geschaffen, dessen Entwicklung vom bewegten Leben und den wechselnden Aufenthaltsorten des Künstlers in Europa und Amerika mitgeprägt ist. Sein Erfindungsreichtum im Umgang mit Bild- und Inspirationsquellen, die Brüche zwischen Werkphasen und der Wechsel der Themen beeindrucken. Die Publikation zeigt das Œuvre des Künstlers in seinem gesamten Reichtum anhand einer exemplarischen Auswahl von rund 190 Gemälden, Zeichnungen, Collagen und Skulpturen, die den Werkprozess zwischen Rückgriffen auf Vergangenes, dem damaligen politischen Zeitgeschehen und einem visionären Blick in die Zukunft erlebbar machen.

Hrsg. Werner Spies, Julia Drost, Albertina, Fondation Beyeler, Vorwort von Klaus Albrecht Schröder, Sam Keller, Texte von Gunhild Bauer, Raphaël Bouvier, Julia Drost, Gisela Fischer, Ioana Jimborean, Jürgen Pech, Werner Spies, Adrian Sudhalter, Ralph Ubl, Tanja Wessolowski, Gabriele Wix, Gestaltung von Andreas Platzgummer

352 Seiten, 343 farbige Abb., 26,00 x 30,20 cm, gebunden mit Schutzumschlag Deutsche Ausgabe ISBN 978-3-7757-3446-2 Englische Ausgabe ISBN 978-3-7757-3447-9

Link zum Katalog

Max Ernst, 1891 – 1976


Deutschland 1891 – 1922

1891    Max Ernst wird am 2. April in Brühl bei Köln geboren. Er ist das dritte von insgesamt neun Kindern des Taubstummenlehrers und Amateurmalers Philipp Ernst und seiner Frau Luise.

1910 – 1914    Studium an der Universität Bonn: Klassische Philosophie, Psychologie, Psychiatrie und Kunstgeschichte.

1913    Teilnahme an der Ausstellung Rheinischer Expressionisten und erster kurzer Aufenthalt in Paris. Im Haus von August Macke begegnet er Guillaume Apollinaire und Robert Delaunay.

1914    Beginn der Freundschaft mit Hans Arp, dem er in der Kölner Galerie Feldmann begegnet. Im ersten Weltkrieg Einberufung als Artillerist.

1918    Heirat mit der Kunsthistorikerin Luise Straus.

1919    Gründet mit Hans Arp und Johannes Theodor Baargeld die Kölner Dada-Gruppe. Dada-Ausstellung in Köln. Max Ernst fertigt seine ersten Collagen an. Besuch bei Paul Klee in München.

1920    Geburt seines Sohnes Hans-Ulrich Ernst, genannt Jimmy.

1921    Erste Ausstellung von Collagen in Paris. Ferienaufenthalt mit Hans Arp, Sophie Taeuber, Tristan Tzara und André Breton in Tarrenz (Tirol).


Frankreich 1922 – 1941
1922    Übersiedlung von Max Ernst nach Paris und Trennung von Frau und Sohn.

1923    Max Ernst zieht nach Eaubonne bei Paris mit Paul und Gala Éluard und übernimmt die Ausmalung der Räume. Er stellt im Pariser Salon der Indépendants aus.

1924    André Breton veröffentlicht sein erstes surrealistisches Manifest.

1925    Der Pariser Galerist Jacques Viot nimmt Max Ernst unter Vertrag. Erste Frottagen entstehen.

1926    Scheidung von Luise Straus.

1927    Heirat mit Marie-Berthe Aurenche. Max Ernst beginnt mit den Serien der Horden, Wälder, Muschelblumen und Vogeldenkmäler.

1929    Veröffentlichung des ersten Collage-Romans La femme 100 têtes.

1930    Kurze Rolle in Luis Buñuels Film L’âge d’or. Gründung der Zeitschrift Le surréalisme au service de la révolution. Begegnung mit Alberto Giacometti.

1932    Erste Einzelausstellungen in den USA in der Julien Levy Gallery, New York.

1934    Sommeraufenthalt in Zürich, um in der Corso Bar ein Wandbild zu realisieren. Lernt den Schriftsteller James Joyce kennen.

1936    Verlässt Marie-Berthe Aurenche. 48 seiner Gemälde sind in der New Yorker Ausstellung Fantastic Art, Dada, Surrealism zu sehen.

1937    Veröffentlichung des Aufsatzes Au-delà de la peinture in der Zeitschrift Cahiers d’art. Die Sondernummer ist Max Ernst gewidmet. Das Gemälde „Der Hausengel (Der Triumph des Surrealismus)“ entsteht. In Deutschland werden zahlreiche Bilder konfisziert und ein Gemälde wird in der Münchner Feme-Ausstellung Entartete Kunst gezeigt.

1938    Max Ernst verlässt die Surrealistengruppe und zieht mit seiner Geliebten, der Künstlerin Leonora Carrington, nach Saint-Martin d’Ardèche in Südfrankreich.

1939/40    Als „feindlicher Ausländer“ wird Max Ernst zweimal interniert. Freilassung auf Fürsprache Paul Éluards. Zahlreiche Werke in Abklatschtechnik (Dekalkomanie) entstehen.


Amerika 1941 – 1953

1941    Peggy Guggenheim ermöglicht seine Flucht in die USA. Mit ihr reist er nach Kalifornien, Arizona, New Mexico, New Orleans. Heirat mit Peggy Guggenheim im Dezember.

1941    Teilnahme an der von André Breton und von Marcel Duchamp inszenierten Ausstellung First Papers of Surrealism in New York und Herausgabe der Zeitschrift VVV. Lernt die Künstlerin Dorothea Tanning kennen. Entwickelt die Technik der Oszillation.

1943    Scheidung von Peggy Guggenheim. Verbringt den Sommer mit Dorothea Tanning in Arizona.

1944    Max Ernst arbeitet in Great River, Long Island, und schafft eine neue Serie von Skulpturen.

1945    Schreibt ein Drehbuch für eine Episode in Hans Richters Film Dreams That Money Can Buy in der er als Darsteller mitwirkt.

1946    Zieht mit Dorothea Tanning nach Sedona, Arizona, wo sie ein Haus bauen. Doppelhochzeit in Beverly Hills: Max Ernst heiratet Dorothea Tanning, Man Ray heiratet Juliet Browner.

1947    In der Galerie Maeght, Paris, findet die letzte grosse Surrealistenausstellung statt.

1948    Beginn der Arbeit an der Plastik Capricorne (Steinbock). Robert Motherwell veröffentlicht Max Ernst. Beyond Painting, and Other Writings by Max Ernst and his Friends. Max Ernst erhält die amerikanische Staatsbürgerschaft.

1950    Reise nach Europa mit Dorothea Tanning. Mietet ein Atelier in Paris.

1951    Anlässlich seines 60. Geburtstags wird in seiner Geburtsstadt Brühl die erste deutsche Retrospektive gezeigt.

1952    Yves Tanguy zu Besuch in Sedona Max Ernst hält eine Serie von Vorlesungen in Honolulu.


Europa 1953 – 1976

1953    Dorothea Tanning und Max Ernst kehren nach Paris zurück. Er arbeitet in der Impasse Ronsin neben dem Atelier von Constantin Brancusi. Das mit acht Lithografien illustrierte Gedicht Das Schnabelpaar erscheint im Verlag Ernst Beyeler.

1954    Auf der 27. Biennale in Venedig erhält Max Ernst den Grossen Preis für Malerei. Daraufhin wird er von André Breton von der Surrealistengruppe ausgeschlossen.

1955    Gemeinsam mit Dorothea Tanning zieht er nach Huismes bei Chinon (Touraine). Erste Einzelausstellung in der Galerie Beyeler.

1956    Max Ernst wird Mitglied der Berliner Akademie der Künste. Die Kunsthalle Bern widmet Max Ernst eine Retrospektive.

1957    Max Ernst erhält den Grossen Preis für Malerei des Landes Nordrhein-Westfalen. Erneute Zusammenarbeit mit Regisseur Hans Richter für dessen Film 8 x 8.

1958    Er wird französischer Staatsbürger. Im September ist er mit 40 Werken in der Ausstellung DADA. Dokumente einer Bewegung in der Düsseldorfer Kunsthalle und im Stedelijk Museum in Amsterdam vertreten.

1959 – 1962    Grosse Retrospektiven in Paris, New York, Chicago, London, Köln und Zürich.

1963    Peter Schamoni dreht den Film Entdeckungsfahrten ins Unbewusste über Max Ernst. Zwei Jahre später wird er den Film über Ernsts Leben: Mein Vagabundieren – meine Unruhe realisieren.

1964    Max Ernst und Dorothea Tanning lassen sich in Südfrankreich (Seillans) nieder. Teilnahme an der documenta III.

1966    Ernennung zum Offizier der Ehrenlegion. Teilnahme an Ausstellungen in Venedig, Zürich, Bern. Begegnung mit Werner Spies.

1967    Farbradierungen für Samuel Becketts Aus einem aufgegebenen Werk. Goldschmiedearbeiten in der Galerie Le Point Cardinal nach Entwürfen von Ernst, Arp, Derain, Hugo, Picasso, Tanning u.a.

1968    Entwicklung des Bühnenbilds zu La Turangalîla von Olivier Messiaen für die Pariser Oper.

1969/70    Grosse Ausstellungen in Stockholm, Amsterdam und Stuttgart. Die wiederentdeckten Wandbilder aus Eaubonne sind bei François Petit in Paris zu sehen.

1972    Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Bonn. Teilnahme an der documenta 5.

1974    Zweite Einzelausstellung in der Galerie Beyeler.

1975    Reise nach New York anlässlich der grossen Retrospektive im Solomon R. Guggenheim Museum, die anschliessend im Grand Palais in Paris gezeigt wird. Die ersten beiden Bände des Oeuvrekatalogs erscheinen.

1976    Max Ernst stirbt am 1. April, in der Nacht zu seinem 85. Geburtstag, in Paris. Er wird auf dem Friedhof Père Lachaise beigesetzt. Posthum wird ihm der Kaiserring, der Kunstpreis der Stadt Goslar, verliehen.